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Valentino Balboni: Der mit dem Stier tanzt

Valentino Balboni ist der wahrscheinlich bekannteste Testfahrer der Welt. Für seine jahrzehntelangen treuen Dienste im Hause Lamborghini widmete ihm sein Arbeitgeber im vergangenen Jahr eine Sonderserie auf Basis des Lamborghini Gallardo, den heckgetriebenen LP550-2 Valentino Balboni. „Ein Lamborghini“, schwärmt Signore Balboni, „mit dem man wieder tanzen kann!“ Classic Driver hat Mann und Maschine zum Tanz auf den Schnee gebeten.

Der Miura ist es, der Valentinos Leidenschaft für Lamborghini entfachte. Sein erster Testwagen war der Miura SV, seine ganz große Liebe. Ich erinnere mich, wie Valentino mir seit vielen Jahren immer wieder erzählte, wie er mit dem Miura Tanzen lernte. Lachend berichtet er, wie er einst auf der Rückfahrt von Genf mit dem Miura im Schnee landete, dabei die volle Kraft des heckgetriebenen Mittelmotorsportwagens abbekam und mit ihm durch den Schnee tanzte. Auf die Frage, was für ihn den neuen LP550-2 Balboni ausmacht, antwortete Valentino schmunzelnd: „Mit dem Auto kannst Du wieder tanzen.“

Es muss wohl göttliche Eingebung gewesen sein, als der Pfarrer aus Valentino Balbonis Heimatdorf ihn im April 1968 in seinen Fiat Cinquecento packte und mit nach Sant’Agata nahm. Valentino erzählt, dass es eben dieser Pfarrer war, der ihn zu Lamborghini brachte. Als sie am Werk vorbeifuhren, sah Valentino, wie gerade Karosserien angeliefert wurden. Er bat, sofort anzuhalten und verschwand mit den Karosserien im Werk, woraufhin der Pförtner wissen wollte, was er da mache und wer er überhaupt sei, er dürfe da nicht einfach so herumspazieren. Valentino sagte ihm, er sei noch niemand, aber er wolle unbedingt hier bleiben und arbeiten. Daraufhin wurde ihm ein Personalbogen zum Ausfüllen gereicht. Nur eine Woche später, am 22. April 1968, begrüßte ihn Ferruccio Lamborghini persönlich, und Valentino durfte offiziell seinen Dienst im Lamborghini-Werk antreten.

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Das Werk war für damalige Zeiten höchst modern und mit allen technischen Neuheiten ausgerüstet, aber es war bei Weitem nicht vergleichbar mit der heutigen Einrichtung. Wo heute rund 1.000 Mitarbeitarbeiter arbeiten, was in der Autoindustrie immer noch als klein und überschaubar gilt, war es damals die Personalnummer 87, die Valentino auf seiner Stechkarte hatte. Dadurch war es für Valentino ein Leichtes, die Nähe zu allen Bereichen zu pflegen.

Fahrzeuge waschen, Werkstatt kehren und ab und zu an Schrauben drehen, bis hin zur Ausbildung zum Mechaniker, so fing alles an. Am liebsten hielt sich Valentino aber in der Nähe des damaligen Entwicklers und Testfahrers Bob Wallace auf, der seine Erfahrung aus dem Rennsport mitbrachte und mit dem Aufbau von Lamborghini eine neue Herausforderung gefunden hatte. „Von ihm konnte ich am meisten lernen“, erinnert sich Valentino. Dass ein Auto aus der Werkstatt auf den Hof zu bringen nicht bedeutete, dieses erst noch kilometerweit über die Straßen rund um das Werk zu bewegen, war dem jungen Valentino nicht auszutreiben, also landete er bei Wallace Testfahrten erst auf dem Beifahrersitz und dann selbst am Volant, wo er sein besonderes Gespür für die Sportwagen beweisen konnte. Im September 1973 wurde er selbst zum Testfahrer geadelt.

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Mit der ersten Firmenübernahme durch ein Schweizer Konsortium verließ Wallace das Werk, Valentino blieb bis heute und hat somit alle Ären der Firmengeschichte miterlebt. Doch ganz Gentleman spricht Valentino nicht über Höhen und Tiefen des Unternehmens in den verschiedenen Händen der jeweiligen Eigner, zumal ihm auch immer vor allem die Fahrzeuge am Herzen lagen und für ihn Priorität hatte, diese in ihrem jeweiligen Charakter und Temperament auf Höchstform abzustimmen. Mit geschlossenen Augen, versonnener Miene und zugleich spitzbübischem Grinsen, die rechte Hand aufs Herz gelegt und mit der linken zum Ohr gerichtet, beschreibt Valentino, dass man lernen muss, mit dem Auto Eins zu werden, um ohne zu hören und zu sehen spüren zu können, was einem die Reaktionen des Autos sagen möchten. Die Tests wurden auf der Straße gefahren und teilweise auf einer kleinen Rennstrecke von Fiat in Modena, die heute nicht mehr existiert. Getestet wurde bei jedem Wetter, „dabei ist zum Glück“, so Valentino, „recht wenig passiert.“ Abgeflogen ist er jedoch schon hin und wieder, das gehört schließlich zum Testen dazu. Aber einen wirklich schlimmen Abflug hat er nur einmal im Countach erlebt, als er einem auf eine Straße einbiegenden Transporter ausweichen musste. Daraufhin hatte ihn der Ingenieur auf dem Beifahrersitz angesehen und gefragt: „Leben wir noch?“ Valentino antwortete: „Ja! Und nun mach, dass Du aus dem Fahrzeug kommst!“

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„Ein Lamborghini muss immer die Präzision eines Rennwagens mit der Verlässlichkeit eines Freundes verbinden“, sagt Valentino. So könnte man auch Valentino selbst beschreiben. Seine unbändige Leidenschaft und sein besonderes Gespür für die Stiere aus Sant’Agata, gepaart mit jungenhaftem Charm, purer Freude, absoluter Bescheidenheit und einem extrem wachen Geist sowie unerschöpflichem Gedächtnis haben ihm längst persönlichen Kultstatus verliehen. Fast so legendär wie er selbst sind dabei seine Lederslipper, die er immer trägt - nur mit dünnen Ledersohlen kann er kleinste Vibrationen am Gas und auf der Bremse wahrnehmen, sagt er. Heute sind es in erster Linie Computer, die während den Tests Daten aufzeichnen, und es wird zumindest im Hochgeschwindigkeitsbereich nur noch auf Rennstrecken getestet. Diese Tests werden inzwischen in erster Linie von Valentinos jungen Kollegen Mario Fasanetto und Giorgio Sanna absolviert. Wichtigstes Werkzeug ist und bleibt beim testen jedoch immer das Gespräch über das, was der Tester direkt erfährt. Valentino schwört dabei nach wie vor auf die Sensorik seiner selbst und sein unerschöpfliches Gedächtnis, das wach und weise alles registriert.

Valentino hätte längst in den wohl verdienten Ruhestand gehen können und ist seit seinem 60sten Geburtstag im vergangenen Jahr nun auch pensioniert. Er steht jedoch als Markenbotschafter, Berater und Repräsentant der Lamborghini SpA weiterhin für Roadshows, Events und Kunden treu im Dienste der Marke zur Verfügung, denn für ihn ist und bleibt es das Schönste auf der Welt, einen Lamborghini zu fahren. „Lamborghini ist mein Leben, meine Berufung“, schwärmt Valentino. Auf die Frage, welche Straße seine Traumstraße sei, antwortet er – obwohl er schon auf der ganzen Welt die schönsten Straßen befahren durfte: „Jede Straße ist ein Traum!“ Mit einer Träne im Auge und fast versagender Stimme erzählt er, wie man im Werk auf ihn zu kam und sagte, wir brauchen deine Hilfe, wir haben da ein Fahrzeug, was Du abstimmen musst. Es war ein Gallardo, ein heckangetriebener Gallardo mit Handschaltung. Valentino wusste sofort, dass dieser Gallardo etwas ganz Besonderes sein würde, ganz nach seinem Gusto: „Back to the roots.“ Dann kam der Moment, als man ihm sagte, dass dieses Fahrzeug ihm gewidmet würde. „Es ist eine Ehre, eine absolute Ehre“, wiederholt er sichtlich gerührt immer wieder. Auch als Stefan Winkelmann, Präsident und CEO der Lamborghini SpA, Valentino bei der Präsentation des Reventón Roadsters in Frankfurt als besonderen Gast begrüßte, standen Tränen der Rührung in den Augen. Winkelmann wies nochmals auf die beachtlichen Verdienste Valentinos hin und erklärte, dass ihm dafür die besondere Ehre erwiesen wird, als erster und einziger Mensch ausnahmsweise einem Lamborghini den Namen geben zu dürfen.

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„Es dürfte schwer sein, jemanden zu finden, der mehr Kilometer auf Lamborghini gefahren ist als ich“, resümiert Valentino im Trailer zu seinem LP550-2. Vor allem aber dürfte es unmöglich sein, jemanden zu finden, der wie Valentino jedes einzelne Exemplar kennt, das in Sant’Agata gebaut wurde. Valentino hat den Charakter der Supersportwagen maßgeblich geprägt und damit mit seiner Abstimmungs- und Testarbeit automobile Legenden geformt. Seit über vierzig Jahren im Dienst für Lamborghini hat Valentino seit 1973 das Lenkrad jedes Prototypen der Marke in der Hand gehabt, aber auch die meisten Serienautos gingen vor der Auslieferung an die Kunden erst durch seine Hände. Er kennt sie alle, wie auch die Kunden und die vielen kleinen Geschichten um „Il Cavaliere“ Ferruccio Lamborghini. Viele der heutigen Lamborghini-Kunden waren Kinder, als sie zum ersten Mal mit leuchtenden Augen zu Valentino bei einer der vielen Roadshows in einen Lamborghini stiegen. Keiner würde ihn je vergessen, seine Begeisterung für die Automobile hat in vielen Anderen die gleiche Begeisterung geweckt. Als Legende sieht er sich selbst dennoch nicht – bescheiden wie immer. Er tut doch nur was ihm Freude macht und freut sich, wenn es anderen auch Freude macht. Valentino Balboni ist eine Legende, so viel steht fest – und ganz wie das ihm gewidmete Sondermodell: ein Wolf im Schafspelz.

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Rein äußerlich unterscheidet sich der auf 250 Stück limitierte LP550-2 nur wenig vom LP560-4. Ihn zieren ein silber-goldener Streifen, der sich von der Fronthaube über das Dach bis zum Heck zieht. Den Innenraum kennzeichnen eine weiße Mittelkonsole und ein abgesetzter Lederstreifen in den Sitzen mit weißen und goldenen Nähten. Unter dem linken Seitenfenster, hinter dem Fahrersitz, prangt eine von Valentino handsignierte Modellplakette. Wie auch der LP560-4 bringt der LP550-2 rund 2,5 kg pro PS auf die Waage, dies jedoch mit etwa 20 kg weniger Gewicht und 10 PS geringerer Leistung. Der gravierendste Unterschied ist das Antriebskonzept: Während der LP560-4 im Regelfall seine 560 PS im Verhältnis 30:70 auf Vorder- und Hinterachse verteilt, werden die 550 PS des Valentino Balboni allein von der Hinterachse übertragen. Geschaltet wird, wenn es nach Valentino geht, nur über die manuelle 6-Gang-Schaltkulisse, das Modell wird aber auch als eGear angeboten. „Der LP550-2 ist more sporty“, erklärt Valentino mit einem viel sagenden Grinsen und bringt es damit schlicht auf den Punkt. Denn wer Valentino kennt, weiß, dass sich hinter dem Grinsen ein komplettes Lexikon der sportlichen Fahrkultur verbirgt.

Auf einer Eispiste im Südtiroler Ultental zeigt uns Valentino in seinem LP550-2, dass er auch heute noch die Tanzschritte beherrscht, die er einst auf seiner Rückfahrt von Genf mit dem Miura erlernte. Bei derart leidenschaftlichem Tanz mit dem Stier ist es kaum zu glauben, dass Valentino abseits des Volants eigentlich nie das Tanzparkett betritt. Tango in Perfektion – Leidenschaft, Präzision und Rhythmusgefühl – danke Valentino!

Text & Fotos: Nanette Schärf

Wir danken Veit Pircher für die Zurverfügungstellung und die Präparation des Fahrsicherheitsgeländes im Ultental, Südtirol, das uns von der Audi driving experience freundlich empfohlen wurde.


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